Teil 2 - Wer war Tutanchamun?Abseits all der Schätze seines Grabes, und all der Berühmtheit, die er dadurch in aller Welt erlangte, bleibt die wahre Person des Tutanchamun doch scheinbar verborgen im Dunkel der Jahrtausende. Wessen Leichnam ist es, der da inmitten all seiner Kostbarkeiten bestattet lag? In wessen Augen hatten das Gold und die warmen Farben Ägyptens einst geglänzt? "Ein Inzestkind, von Krankheit gezeichnet" titelte der Stern im Februar 2010. Eine DNA-Untersuchung an seiner und anderen altägyptischen Mumien schien einige Geheimnisse des Kindkönigs gelüftet zu haben. Die Presse überschlug sich mit Meldungen über einen "schwächlichen, degenerierten, verkrüppelten jungen Mann, der in keiner Weise der idealisierten, anmutigen Darstellung seiner Totenmaske ähnelte". An Malaria sei er vermutlich gestorben, und an den Folgen seiner Knochenkrankheit. Oder doch an einer Vergiftung durch machtgierige Beamte, die selbst auf den Königsthron schielten? Tatsache ist: Einer beweiskräftigen Überprüfung halten nur wenige dieser populistischen Aussagen stand. Bei aller Begeisterung für die moderne Wissenschaft, die oft Licht in uralte Geheimnisse zu bringen vermag, ist es noch nicht einmal hundertprozentig erwiesen, dass Tutanchamuns Eltern tatsächlich Geschwister waren. Denn die menschliche DNA weist nach solch langer Zeit Lücken auf und kann nicht mehr genau analysiert werden. Wer also war der Mensch Tutanchamun wirklich? |
Abb.: Keith Schengili-Roberts,
unter Creative-Commons-Lizenz |
Abb.: "Michiel", unter Creative-Commons-Lizenz
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Wesir Eje (links) und General Haremhab (rechts) waren gleich nach dem Pharao die mächtigsten Männer des Landes und hatten somit wohl einen prägenden Einfluss auf den jungen Tutanchamun. Womöglich waren sie es auch, die ihn dazu brachten, mit dem Aton-Kult seines Vaters zu brechen und Achet-Aton zu verlassen. Aufgrund der teils angespannten Zustände im Land und wohl auch aufgrund des Drucks durch die immer noch einflussreiche Amun-Priesterschaft sahen sie vielleicht auch keine andere Möglichkeit, um die Sicherheit und Einigkeit des Landes nicht weiter zu gefährden bzw. wiederherzustellen.
Eje hatte bereits unter Echnaton als Hofbeamter gedient und eine gehobene Stellung am Hof von Achet-Aton erlangt. Er trug die Titel "Gottesvater", dessen Bedeutung noch nicht geklärt ist, und "wahrer Schreiber des Königs". Es wird vermutet, dass er vielleicht sogar die Rolle des väterlichen Erziehers von Tutanchamun übernahm. Haremhab war Oberbefehlshaber des Heeres und "Stellvertreter des Königs an der Spitze der Beiden Länder". Seine militärische Karriere begann wahrscheinlich bereits unter Tutanchamuns Großvater Amenophis III. Diese beiden altgedienten, erfahrenen Autoritäten waren es, die sich des Kindkönigs "annahmen" und im Hintergrund vermutlich die meisten Entscheidungen für den jungen König trafen. |
Mit den folgenden vier Abbildungen wurden vertraute, teils intime Momente eines jungen Paares eingefangen, das einander in Liebe zugetan ist. Es sind Tutanchamun und seine Gemahlin Anchesenamun.
Auf der Rückenlehne des berühmten goldenen Throns (oben) reibt sie ihn zärtlich mit Öl ein, und auf der Wand eines kleinen vergoldeten Statuenschreines (unten) legt sie ihm ein Halsband mit Pektorale an. Aus beiden Abbildungen spricht symbolisch eine erotische Grundstimmung. Vermutlich bereits zu seiner Thronbesteigung mit etwa 8 Jahren vermählte sich Tutanchamun mit der einige Jahre älteren Prinzessin. Die junge Frau, die damals noch "Anchesenpaaton" ("sie lebt für/durch Aton") hieß, war eine der Töchter von Echnaton und Nofretete, und damit seine Halbschwester. Eine Geschwisterheirat selbst im Kindesalter war damals für Thronfolger nichts ungewöhnliches. Seine Schwester oder gar Tochter zu heiraten, war einem Pharao durchaus erlaubt, und eine übliche Tradition des altägyptischen Königtums. Da die Pharaonen als Söhne der Götter galten, folgten sie damit dem Beispiel des Götterpaares Osiris und Isis, die als Bruder und Schwester ebenfalls miteinander vermählt waren. Darüber hinaus waren Tutanchamun und Anchesenamun wohl die letzten Angehörigen der königlichen Blutlinie, denn ihre übrigen Geschwister sowie ihre Eltern lebten nicht mehr. Der Erhalt der Dynastie und des göttlichen Blutes oblag somit den königlichen Erben. Vielleicht waren die beiden sogar bereits seit der Herrschaft ihres Vaters einander versprochen. Ein ägyptischer Herrscher war nicht generell gezwungen, Inzest zu praktizieren. Teilweise wurden Verbindungen zwischen engen Verwandten auch nur geschlossen, um eine Legitimation für den Königsthron zu erhalten, denn ein Pharao brauchte im Normalfall eine "königliche Gemahlin", um als vollwertig zu gelten. Diese Ehen wurden jedoch im sexuellen Sinne oft gar nicht vollzogen. Darüber hinaus gibt es im Laufe der Geschichte viele königliche Paare, die nicht miteinander verwandt waren. Auch Neben- und Haremsfrauen aus manch fremden Ländern waren für die meisten Herrscher ein Privileg ihrer Macht an der Spitze der Gesellschaft. Tutanchamun war mit seinen 8 oder 9 Jahren wohl noch nicht alt genug, um eine solche Entscheidung willentlich zu treffen oder abzulehnen. Aber auch mit fortgeschrittenem Alter wird er es sicher nicht als Zwang empfunden haben, eine Ehe mit seiner Halbschwester zu führen. Auch wenn es für uns heutzutage kaum mehr vorstellbar ist, war dies zur damaligen Zeit nichts Verwerfliches. Vielleicht verstand Tutanchamun es aufgrund seiner Erziehung als Treue seinen mächtigen Ahnen gegenüber, ihre Erblinie fortzuführen. Leider gelang ihm dies in seinem kurzen Leben jedoch nicht. Zwei Töchter, die er - dem Anschein nach - mit Anchesenamun zeugte, wurden tot geboren. Inwieweit dies mit den inzestuösen Familienverhältnissen in Zusammenhang steht, bleibt Spekulation. Trotz der hohen Säuglingssterblichkeit zur damaligen Zeit war der Verlust ihrer ungeborenen Kinder sicher ein schwerer Schlag für das junge Paar. Wäre es dem Pharao beschieden gewesen, ein höheres Alter zu erreichen, wären die beiden wohl nicht ohne Nachkommen geblieben. |
Abb.: Pataki Márta, unter Creative-Commons-Lizenz
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Wenn man die gefühlvoll ausgeführten Darstellungen von Tutanchamun und Anchesenamun so betrachtet, scheint es, dass die Geschwister ein harmonisches Leben miteinander teilten. In allen Szenen wirken sie einander sehr nah.
Auch durch andere Gegenstände aus dem Grabschatz wird die Liebe des Paares immer wieder verdeutlicht. Dies kann natürlich durchaus nur ein Überrest des "Amarna-Stils" sein, der unter Echnaton und Nofretete begann, und bei dem das Privatleben des Herrscherpaares stets idealisiert dargestellt wurde. In der altägyptischen Geschichte beruhten viele Darstellungen von Pharaonen generell eher auf Klischees als auf der Realität. Wenn man aber davon ausgeht, dass Tutanchamun und seine Halbschwester ein ähnliches Schicksal teilten, und unter den gleichen Umständen am Königshof aufgewachsen waren, kann man mutmaßen, dass die beiden zumindest Vertrautheit verband. Und da Anchesenamun mindestens 5 Jahre älter war als ihr Gemahl, stand sie ihm vielleicht auch als wertvolle Stütze zur Seite. Diese zwei Darstellungen, die eine abgebildet auf einer Truhe aus dem Grab (oben), die andere auf einem Kalksteinblock (unten), zeigen die Königin, wie sie ihrem Mann Blumen überreicht. Jedoch gleicht sich hier nicht nur die Handlung, auch ein ganz bestimmtes Utensil taucht in beiden Szenen auf: Der Stab, auf den sich Tutanchamun stützt. Dieser erscheint wie ein anschauliches Zeugnis für eines der Ergebnisse, die die DNA-Untersuchung an der Mumie des Pharaos hervorbrachte. Danach litt Tutanchamun an einer schmerzhaften Knochenkrankheit am linken Fuß, der sogenannten "aseptischen Knochennekrose". Auch die 130 Stäbe, die man in seinem Grab fand, und aufgrund derer Howard Carter vermutete, dass der Pharao wohl ein "Sammler" dieser Stücke gewesen sei, lassen sich damit erklären. So konnte sich Tutanchamun also vermutlich nur mithilfe eines Stocks fortbewegen. Diese Erkenntnis wirft ein völlig neues Licht auf den König. Und es entstehen daraus wiederum neue Fragen. War er bereits als Kind auf eine Gehhilfe angewiesen, oder trat die Krankheit erst später auf? Plagten ihn tagtäglich starke Schmerzen, gegen die man ihm pflanzliche Mittel verabreichte? War er gar so stark beeinträchtigt, dass er Zeit seines Lebens hilfsbedürftig und gebrechlich war? Konnte er so seiner Rolle als Pharao überhaupt gerecht werden? |
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Während man aus den persönlichen Gegenständen seines Grabes einiges über das Privatleben Tutanchamuns rekonstruieren kann, ist von seinem politischen Wirken als Regent relativ wenig überliefert.
Zum Einen liegt das daran, dass Ägypten sich in einem chaotischen Zustand befand, den Echnaton und sein Aton-Kult über die Jahre ausgelöst hatten. Zum Anderen war Tutanchamuns Regierungszeit einfach zu kurz, und der Pharao starb zu jung, als dass er großen Ruhm hätte erlangen können. In dieser Hinsicht war Tutanchamun also ein unbedeutender Pharao. Dennoch leitete er einen Wandel ein, der die ägyptische Geschichte entscheidend beeinflusste: Die Wiederherstellung der alten Ordnung und der traditionellen Staatsreligion. Er wandte sich ab vom Sonnengott seines Vaters und setzte die Amun-Priesterschaft wieder in Amt und Würden. Das Land atmete auf und begann, sich von den Wirren der religiösen Revolution zu erholen. Auf der "Stele der Restauration" (rechts), die Tutanchamun in Theben (heute Karnak) errichten ließ, steht geschrieben: "Als sich seine Majestät als König erhob, waren die Tempel der Götter und Göttinnen von Elephantine bis zu den Marschen des Deltas im Begriff, vergessen zu werden, und ihre heiligen Stätten im Zustande des Untergangs zu Schutthügeln geworden, die mit Unkraut bewachsen sind. Ihre Gotteshäuser waren wie etwas, das es nicht gibt; ihre Hallen waren nichts mehr als Fußwege. Das Land machte eine Krankheit durch, die Götter, sie kümmerten sich nicht um dieses Land. Wenn man ein Heer nach Syrien aussandte, um die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so war diesem nicht der geringste Erfolg beschieden. Wenn man einen Gott anrief, um ihn um etwas zu bitten, kam er nicht herbei, in keinem Fall. Wenn man eine Göttin anrief, ebenso, kam sie nicht herbei, in keinem Fall." Mit der Rückkehr zu den Wurzeln hatte der junge Herrscher durchaus Erfolg, denn bereits unter seinem Nachfolger Haremhab war Ägypten wieder gefestigt. Ob Tutanchamun tatsächlich selbst für diese Schritte verantwortlich zeichnete, oder ob seine Berater die Regierungsgeschäfte mehr oder weniger für ihn übernahmen, bleibt allerdings ungewiss. Für die baulichen Tätigkeiten Tutanchamuns im Land gibt es ebenfalls zahlreiche Belege. Zwar wurde das meiste später von seinem Nachfolger Haremhab in Beschlag genommen, der alles versuchte, um die Erinnerung an die Amarna-Zeit und den damit verbundenen Tutanchamun auszulöschen, jedoch konnte vieles nachträglich der Regierungszeit des Kindkönigs zugeordnet werden. So zum Beispiel die Restauration und Erweiterung des großen Amun-Tempel-Komplexes in Theben (rechts), heute Karnak, wo Echnatons Herrschaft zahlreiche Schäden hinterlassen hatte. In der Nähe des 6. Pylons findet sich daher auch eine Kolossalstatue des Gottes Amun (unten), die die Gesichtszüge Tutanchamuns trägt. |
Abb.: Paul James Cowie, unter Creative-Commons-Lizenz
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