4.2 - Die Truhen des PharaosAn Aufbewahrungsmöbeln herrschte im Land am Nil nicht die Vielfalt moderner Tage. Wandschränke und Regale waren unbekannt, und alles, was zu verstauen war, wurde entweder in Körbe und Krüge gefüllt, in Tücher eingewickelt oder in Truhen und Kästchen gepackt. Über 50 kleine und große Truhen fanden sich in Tutanchamuns Grab, darunter ein paar wahre kleine Meisterstücke, die in ihrer Form und Bemalung eher als Kunstwerk denn als simples Möbelstück zu bezeichnen sind. Viele der heute bekannten Schmuckstücke und anderen Schätze fand man verstaut in all den fein gezimmerten Behältnissen. In den meisten herrschte, ähnlich wie im gesamten Grab, allerdings das blanke Durcheinander. Vermutlich hatten die antiken Grabräuber viele der Kisten durchwühlt und beraubt, und als die Wächter der heiligen Grabanlage später wieder Ordnung schafften, gingen sie sehr fahrlässig zu Werke, und stopften die zurückgebliebenen, verstreut liegenden Gegenstände wahllos zurück in die geplünderten Truhen. So lässt sich erklären, weshalb viele einen völlig anderen Inhalt oder nur Reste des Materials aufwiesen, mit dem sie - laut mancher Beschriftung - ursprünglich gefüllt gewesen waren. |
Abb.: "ThutmoseIII", unter Creative-Commons-Lizenz
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- Die "Jagdtruhe" -Howard Carter sah in ihr eines der künstlerisch wertvollsten archäologischen Stücke, die jemals entdeckt worden waren, und es fiel ihm schwer, sich von ihrem Anblick loszureißen. Ihre warmen Farben leuchteten ursprünglich noch intensiver; durch die Behandlung mit Paraffinwachs zur Konservierung wurden sie jedoch insgesamt dunkler und veränderten sich. Dunkelblau ist nur schwer von Schwarz zu unterscheiden, das vereinzelte Grün ist kaum noch sichtbar, und der nun bräunlich gelbe Hintergrund war einstmals helleres Elfenbein-Weiß. Trotz alledem faszinieren die meisterhaften Miniaturmalereien, die die Truhe auf allen Seiten schmücken, noch immer. Selbst kleinste Details wie die Pünktchen auf den Fellen oder der Halsschmuck der Schwarz-Afrikaner wurden sorgfältig aufgetragen. Viele der Einzelheiten sieht man leider nur aus nächster Nähe. Der unbekannte Künstler malte übrigens nicht mit einem Pinsel, sondern mit Binsenstängeln, die gekaut und dann zurechtgeschnitten wurden. Sämtliche Darstellungen der Truhe verherrlichen die Macht und Stärke des Königs. Die zwei Längsseiten zeigen Tutanchamun als großen Eroberer mit gespanntem Bogen auf seinem Streitwagen. Die Pferde sind mit prächtigen Geschirren und Federbüscheln auf den Köpfen geschmückt, der König trägt die blaue Kriegskrone. Er prescht in einen riesigen wirren Haufen voller Feinde, die sich durch- und übereinander geworfen vor ihm stapeln und von seinen Wagenrädern überfahren werden. Auf der einen Seite der Truhe tragen diese asiatische (links), auf der anderen afrikanische Gesichtszüge (ganz unten). Selbst die feindlichen Streitwagen mit ihren Pferden liegen verdreht und geschunden in dem Gewühl aus Leibern. Auch ägyptische Fußsoldaten und Jagdhunde sind zu sehen, wie sie sich auf die Verletzten stürzen. Abgeschlagene Köpfe und von Pfeilen durchbohrte, bluttriefende Oberkörper verdeutlichen das erbarmungslose Gemetzel der Schlacht. Hinter dem Pharao folgen die ägyptischen Truppen mit Streitwagen in Formation sowie königliche Fächerträger. Über dem König schweben jeweils zwei Geier, Verkörperungen der Göttin Nechbet, die einen "shen"-Ring (Symbol der Unendlichkeit) in den Klauen halten. "Er zertrampelt Hunderte von ihnen und stürzt sie in Verwirrung" lautet der Hieroglyphentext der Seite mit den asiatischen Feinden; gemeint sind hier wahrscheinlich Vorderasiaten aus Syrien. "Er zerstört das Land der feigen Kusch, schießt seine Pfeile gegen die Feinde" heißt es auf der anderen Seite mit den schwarzhäutigen Gegnern, die damit als Nubier identifiziert werden, denn "Kusch" bezeichnete Obernubien (im Norden des heutigen Sudan). Die zwei Szenen auf dem Deckel zeigen ganz ähnliche Motive, hier erhält Tutanchamun allerdings die Rolle des furchtlosen Jägers in der Wüste. Ebenfalls mit Streitwagen und gespanntem Bogen ausgerüstet, hetzt er Tiere wie Gazellen, Antilopen, Straußen, Wildesel und eine Hyäne, die vor dem Pharao und seinem Gefolge fliehen. Auch hierbei sind manche bereits von Pfeilen durchbohrt und zusammengebrochen; die Jagdhunde des Königs fassen die wehrlose Beute. Die Hieroglyphen hierzu lauten u.a. "... er fand große Gruppen der wilden Tiere der Wüste, und seine Majestät erbeutete sie in einem kleinen Augenblick." Die zweite Szene ist ebenso ausgestaltet, nur dass hier eine Löwenjagd dargestellt wird. Die edlen Raubtiere sind ebenfalls bereits verwundet; sie stürzen übereinander, einer liegt getroffen auf dem Rücken. Auszug aus dem Text: "... bekämpft die Löwen, sein Erfolg erweist sich, seine Macht ist wie der Sohn der Nut." All diese Darstellungen symbolisierten die Ordnung des ägyptischen Kosmos und ihre Überlegenheit gegenüber dem Chaos. Sowohl die fremden Länder, deren Herrscher jederzeit wieder in Ägypten einfallen konnten, als auch gefährliche Tiere und die lebensfeindliche Wüste zählten dazu. Den König mit einem Gott gleichzusetzen, der über dieses Chaos und alle seine Gefahren triumphierte, gehörte zum standesgemäßen Ritual. Derartige Szenen sind daher nicht als Abbild der Realität gedacht, sondern eher als Ikonen einer königlichen Überlegenheit. Ähnliche Illustrationen finden sich z.B. auf den Tempelwänden anderer Pharaonen. Die beiden Schmalseiten der Truhe ziert der König in Gestalt von jeweils zwei Sphingen (links), wie er abermals seine Feinde aus Nord und Süd niedertrampelt. Die löwengestaltigen Verkörperungen des Pharaos tragen die "Atef"-Krone und das "Nemes"-Kopftuch. Die zwei Namenskartuschen in der Mitte nennen den Eigen- und Thronnamen Tutanchamuns. Die Inhalte der Truhe lassen darauf schließen, dass es sich um eine der Kleidertruhen Tutanchamuns handelte. Man fand darin ein zeremonielles Priestergewand, zahlreiche Kleidungsstücke mit kunstvoller Stickerei, einen Lendenschurz, eine vergoldete Kopfstütze, mehrere Handschuhe, einen Schal, Schmuck, einen Gürtel, Stoff- und Leinenbündel, sowie mehrere Paar Sandalen. Einige Sachen hatten Kindergröße und stammten vermutlich noch aus der Kindheit des Königs. Howard Carter vermutete, es sei die komplette Jagdkleidung des jungen Tutanchamun. Verschlossen wurde die Truhe auf beiden Seiten mit einer Schnur, indem man den Knauf an der Seite mit dem des Deckels verknotete. Ob Tutanchamun wohl einst diese feinen Pinselstriche ebenso mit Bewunderung betrachtete? Oder hatte er kaum einen Blick dafür übrig, weil er von so vielen anderen Reichtümern umgeben war ... ? |
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- Symboltruhe -Gefertigt aus dunklem Holz, reich verziert mit Leisten aus Elfenbein und vergoldeten magischen Symbolen, stammt diese Truhe aus der Schatzkammer des Grabes. Ihr Inneres ist unterteilt in 16 viereckige Fächer, die vermutlich für wertvolle Gefäße wie Vasen oder Kosmetikfläschchen bestimmt waren. Jedoch wurde auch dieser ursprüngliche Inhalt von den antiken Grabräubern entwendet, da er wohl aus Gold oder Silber bestand und relativ leicht zu transportieren war. Die noch vorhandenen Kappen der Füße jedenfalls sind aus Silber. Bei ihrer Entdeckung enthielt die Truhe ein Papyruskästchen mit dem Schreibzeug des Königs, zwei vergoldete Spiegeletuis, eine Elfenbeinschale und einen Ring. Diese Dinge waren nach dem Grabraub wohl von den Beamten der Grabanlage in die Truhe gepackt worden. Die drei fortlaufend dargestellten vergoldeten Hieroglyphen-Symbole der Truhe sind das "Anch" (Leben) und das "Was"-Zepter (Herrschaft/Wohlergehen), die auf dem "Neb"-Korb (alles) stehen. Dies bedeutet übersetzt also in etwa "alles Leben und Herrschaft". Die vertikal und horizontal verlaufenden Elfenbeinleisten tragen die Namen Tutanchamuns und seiner Gemahlin Anchesenamun. Verschlossen wurde die Truhe mit Bolzen, die an der Unterseite des Deckels saßen und in dazugehörige Löcher des unteren Teils passten, sowie mit einer Kordel, die um die rötlichen Elfenbein-Knäufe des Deckels und der Vorderseite gebunden und mit einem königlichen Siegel aus Lehm versehen wurde. |
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- Kartuschentruhe -Neben der Symboltruhe (siehe oben) standen weitere 4 Truhen der Schatzkammer in einer Reihe, und eine von ihnen war diese in Kartuschenform. Sie besteht aus rotem Holz, das an den Rändern mit Ebenholz furniert wurde. Die Deckeloberfläche ist vergoldet, die darauf angebrachten großen Hieroglyphen-Symbole bestehen aus präzise geschnitztem und fein bemaltem Ebenholz und Elfenbein. Die Hieroglyphen stellen folgendes dar (von oben nach unten): Ein "Senet"-Spielbrett mit Figuren, eine Feder, eine Wasserlinie, ein Anch, ein Wachtelküken und zwei Brotlaibe, eine Schilfrispe, einen Pfeiler und ein Zepter. Übersetzt ist dies der Eigenname "Tutanchamun" mit Zusatz: "Lebendes Abbild des Amun, Herrscher des südlichen Iunu". Iunu (später "Heliopolis") war eine Stadt nordöstlich des heutigen Kairo und eines der religiösen Zentren des altägyptischen Reiches. Auf dem Kartuschenrand rings um den Deckel finden sich sämtliche Namen und Beinamen des Pharaos in goldgelber Farbe. Auch um die Seitenwände der Truhe ziehen sich geschnitzte und mit blauer Glaspaste eingelegte Inschriftenbänder mit den offiziellen Namen des Königs. Die Vorderseite der Truhe trägt ein Inschriftenfeld mit dem Eigen-, dem Thron- und dem Horusnamen Tutanchamuns. Die Knöpfe an Deckel und Vorderseite, um die ursprünglich Schnüre zum Verschließen der Truhe gebunden waren, ziert der Gott "Heh" mit Anch, Sinnbild für ewiges Leben. Die prächtige Ausführung der Truhe ließ auch auf ihren Inhalt schließen, der mit den königlichen Insignien Zepter und Geißel sowie diversen Schmuckstücken einige der wichtigsten persönlichen Gegenstände des Pharaos aufwies. |
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- Kabinettschränkchen mit Symbolen -Auf eleganten, schlanken Beinen steht dieses Möbelstück, das Carter auch als "tischförmige Truhe" bezeichnete. Das schwarz bemalte Holz des Rahmens ahmt edles Ebenholz nach und trägt horizonale und vertikale Hieroglyphenbeschriftung, die eingeschnitzt und mit gelblicher Farbe gefüllt wurde. Um Zedernholz zu imitieren, wurde die Frontblende rotbraun gestrichen. Sie besitzt - ebenso wie der Deckel - einen vergoldeten Knauf zum Verschließen der Truhe mit einer Schnur. Auf diesen beiden Knäufen finden sich die Namenskartuschen des Königs. Öffnen lässt sich nur der Deckel, der nach oben aufgeklappt und durch zwei Stützen gehalten wird. Die Symbolreihen zwischen der Rahmenkonstruktion sind beinahe identisch mit denen der Symboltruhe, nur dass die "Anchs" dieser Durchbrucharbeit schwarz sind. Somit ergeht auch hier der Wunsch nach "allem Leben und aller Herrschaft", die dem Eigentümer beschieden sein mögen. Im Inneren des Schränkchens lagen 4 Kopfstützen des Königs sowie ein verrottetes Stück Leinen. Diese Stücke waren aber wahrscheinlich nicht der Original-Inhalt. |
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Abb.: Wikimedia Commons, Public Domain
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- Schmuckschatulle aus Elfenbein -Im Vergleich zu manch anderem Stück ist diese Schatulle eher schlicht; es sind vor allem ihr hochwertiges Material und dessen exakte Verarbeitung, die ihre Qualität kennzeichnen. Zusammengesetzt wurde sie aus insgesamt 10 Teilen erstklassigem Elfenbein. Die Seiten und der Deckel wurden mit quadratischen Vertiefungen versehen, um eingesetzte Platten zu imitieren. Die Knöpfe an Vorderseite und Deckel bestehen aus Gold, und man sieht sogar noch Reste der Schnur, die einst zum Verschließen diente. Der Deckel lässt sich nach oben aufklappen und wird durch zwei Stützen offen gehalten; seine Scharniere bestehen ebenfalls aus Gold. Auch die Füße der Schatulle sind mit Goldblech beschlagen. Auf dem Foto wirkt sie übrigens um einiges größer, denn tatsächlich ist sie nur etwa 13 cm hoch. An der Frontblende befindet sich eine Hieroglyphen-Inschrift mit den verschiedenen Namen seines Besitzers. Der Horusname: "Starker Stier, vollkommen an Geburt"; der Thronname: "König von Ober- und Unterägypten, Herr der Gestalten des Re"; sowie einer der Eigennamen mit Zusatz: "Sohn des Re, lebendes Abbild des Amun, Herrscher über das südliche Iunu, ewig Lebender wie Re" . Auf dem Deckel werden Thron- und Eigenname in ähnlichen Varianten wiederholt. Jedoch findet sich daneben auch ein handgeschriebener Vermerk in hieratisch, der vereinfachten "Schreibschrift" der Hieroglyphen. Er lautet "goldene Ringe für die Begräbnisprozession" und kennzeichnet somit den ursprünglichen Inhalt der Schatulle zur Zeit der Beisetzung. Bei ihrer Entdeckung 2000 Jahre später findet man darin stattdessen den beschädigten Griff eines Handspiegels aus Elfenbein, sieben Muschel-Anhänger einer Kette, einen bronzenen Skarabäus mit Flügeln, sowie Teile eines Ornaments und einer Perlenstickerei. Die genannten Goldringe müssen also wohl ebenfalls von den antiken Grabräubern entwendet worden sein. Allerdings fand man in einer Truhe aus der Vorkammer ein verknotetes Tuch, in das u.a. 8 goldene Ringe gewickelt waren. Vermutlich war einer der Räuber ertappt worden, und man hatte ihm seine Beute wieder entrissen, sie aber nicht an ihren ursprünglichen Ort zurückgelegt. Möglicherweise waren diese Ringe Teil des eigentlichen Inhalts der Schatulle gewesen. |
Abb.: Jon Bodsworth, copyright-frei
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- Wäschetruhe -Unter den Truhen aus dem Grab Tutanchamuns finden sich auch viele relativ einfacher Bauart, so wie diese aus der Vorkammer. Sie besteht aus weiß gestrichenem Holz und Ebenholz. Die Frontseite weist ein gelbes Inschriftenfeld mit drei dunkelblauen Namenskartuschen auf. Rechts und links der Thron- und Eigenname des Pharaos, in der Mitte der Name seiner königlichen Gemahlin Anchesenamun. Auf der Ebenholzleiste in der Mitte des gewölbten Deckels finden sich weiterhin drei der Namen des Pharaos in gelben Hieroglyphen. Auch auf den Knöpfen prangt die Namenskartusche des Königs. Um einen der Knöpfe hing außerdem ein Schildchen aus Holz , wie man sie an vielen Behältnissen des Grabes gefunden hatte - quasi eine Art Etikettierung. Das Etikett dieser Truhe hatte die Bezeichnung "Bekleidung aus feinem Leinen" sowie weitere schlecht leserliche hieratische Beschriftungen, von denen man z.B. eine bruchstückhaft als "Die ... seiner Majestät" entziffern konnte. Auch auf den Deckel wurde eine weitere hieratische Inhaltsangabe gekritzelt. Sie lautet in etwa: "Was darin ist: 17 Leinentücher zur Herstellung von 34 Lendenschurzen". Und tatsächlich entdeckte man in der Truhe den genannten Inhalt, wenn auch teilweise völlig zerknittert und achtlos hineingestopft: Ein Leinengewand mit kunstvollen bunten Stickereien und goldenen Pailetten, etliche Ballen aus gefalteten Tüchern, Lendenschurzen, Schals und Bandagen. Zumindest scheint dies wohl noch der Originalinhalt zu sein, offenbar hatte sich keiner der Räuber für die (Unter-)Wäsche des Pharaos interessiert. Aber man fand auch Stücke, die eigentlich nicht zum Inventar gehörten: Eine hölzerne Kopfstütze, die kleine Figur eines Gefangenen und eine Halskette mit Skarabäus-Anhänger. |
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