Teil 3 - Das Grab des KindkönigsDie Geschichte um Howard Carter, seine unermüdliche Suche nach dem Grab Tutanchamuns und den erfundenen "Fluch des Pharao" ist schon beinahe ein moderner Mythos. Diese Geschichte wurde allerdings bereits in Dutzenden Dokumentationen, Büchern und auch auf vielen Webseiten umfassend geschildert. Ich möchte nicht die gleiche Geschichte ein hundertstes Mal aufrollen. Dieser Teil befasst sich daher ausschließlich mit der Öffnung des Grabes und seinen Funden. Die vier unterirdischen Kammern, die Carter im Tal der Könige entdeckte, und die für Jahrtausende die Heimstätte für die Mumie Tutanchamuns waren, sind ein wichtiger Teil der Geschichte des verstorbenen Pharaos. Die wunderbaren Stücke des Grabschatzes waren aufgeschichtet, durch- und übereinander geworfen, und teilweise fast vollständig verrottet. Betreten wir also die Grabkammer mit der Bezeichnung KV 62, die vor Jahrtausenden so verlassen und versiegelt wurde, wie Carter sie im 20. Jahrhundert aufgefunden hat - und blicken wir auf die Räume und Schätze, die Tutanchamun gut versorgt in die "Gefilde der Binsen" geleiteten. |
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"Es dauerte einige Zeit, bis man etwas erkennen konnte, die aus der Kammer entweichende heiße Luft ließ die Kerzenflamme flackern, aber sobald sich die Augen an den Schein des Lichts gewöhnt hatten, erschien nach und nach das Innere der Kammer, mit ihrer seltsamen und wundervollen Mischung aus übereinander gehäuften, außergewöhnlichen und herrlichen Objekten."
Ähnlich diesem Foto sah wohl der erste Blick aus, den Carter durch ein kleines Loch in die Vorkammer des Grabes werfen konnte. Im Schein seiner Kerze leuchteten ihm drei Ritualbetten mit ihren Tierköpfen entgegen, unzählige Truhen und Möbel - und der wunderschön gearbeitete Kopf des jungen Königs auf einer Lotusblüte sah ihn aus der Tiefe der Jahrtausende an. |
Zum Vergleich ein Originalfoto von Harry Burton direkt nach Öffnung des Grabes.
Persönliche Besitztümer des Pharaos, rituelle Gegenstände, Stühle und Vasen stapeln sich in scheinbarem Durcheinander. Viele der einzigartigen Stücke stammen offenbar direkt aus den Gemächern des königlichen Palastes 1323 v. Chr. In der Bildmitte das Ritualbett der Göttin Isis in der Kuhgestalt "Mehet-Weret", links das der "Ammut" in Nilpferdgestalt (vorderer Teil). Unter dem Bett in der Mitte türmen sich ganze 48 ovale Holzboxen als Nahrungsvorrat für die Reise in das Jenseits. Laut den Aufschriften in hieratischer Schrift enthalten sie u.a. "Gans", oder Teile vom Rind, wie "Kopf", "Herz", "Leber", "Schenkel" und "Rücken". In vielen Boxen fanden sich jedoch andere Nahrungsinhalte als in den Beschriftungen angegeben, z.B. Zunge statt Leber, oder Lende statt Rückenstücke. In unbeschrifteten Boxen fand man auch Enten-, Tauben- und Hühnerfleisch. |
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"Lord Carnarvon fragte mich, 'können Sie etwas sehen?'. Ich antwortete ihm, 'ja, es ist wundervoll.'
... Fein geschnitzte Stühle; ein goldener Thron mit Einlegearbeit; ein Haufen großer, merkwürdiger ovaler Behälter; und, direkt vor uns, ein herrlicher lotusförmiger Lotuskelch in durchscheinendem Alabaster; Hocker in allen Formen, aus gewöhnlichen und seltenen Materialien; und schließlich ein Durcheinander aus umgestürzten Teilen von Streitwagen, glänzend vor Gold, zwischen denen eine hölzerne Kleiderpuppe hervor lugte. Der erste Eindruck erweckte die Vorstellung eines Requisitenlagers einer untergegangenen Zivilisation." |
Das Originalfoto aus ähnlicher Perspektive. Der Blick nach links zum südlichen Ende der Vorkammer zeigt die zerlegten Streitwagen des Pharaos, weitere Truhen und Sitzmöbel, sowie den goldenen Thron Tutanchamuns, unter dem Nilpferdbett kaum zu erkennen.
Nach der Entfernung des Throns und einiger weiterer Gegenstände wurde unter dem hintersten Ritualbett ein kleiner, quadratischer Durchschlupf zu einem weiteren Raum sichtbar - der Seitenkammer. Sie lag tiefer als die Vorkammer und war vollgestopft mit über 2000 verschiedenen Objekten, so dass sie zunächst nicht betreten werden konnte. Sie enthielt vor allem übereinandergestapeltes Mobiliar wie Betten, Stühle, kleine Kommoden und Truhen, kostbare Kalzitgefäße und zwei weitere Streitwagen. Auch viele Kleinteile konnten vom Boden der Kammer geborgen werden. Carter hatte schon länger vermutet, dass bereits im alten Ägypten Grabräuber in die Anlage eingedrungen waren und sie für die teils immense Unordnung verantwortlich waren. Die wahllos durcheinandergeworfenen Stücke der Seitenkammer waren nun ein weiterer Hinweis für ihn, dass das Grab in der Antike mehrmals aufgebrochen und wieder verschlossen worden war. |
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Die dahinter ruhenden 4 Schreine und 4 Sarkophage, die ineinander verschachtelt waren, füllten beinahe den gesamten Raum aus.
Es war so wenig Platz in der Sargkammer, dass sogar eine einzelne Person Schwierigkeiten hatte, um die Schreine zu gehen. In den engen Zwischenräumen zwischen Wand und Schrein als auch im Inneren des äußersten Schreins fand man viele Gegenstände. Darunter meisterhaft gefertigte Alabastergefäße, vergoldete Stäbe, Bögen, Straußenfeder-Fächer und hölzerne Ruder. Die Türen der einzelnen Schreine waren jeweils mit einem Seil gesichert, das durch Bronzegriffe gezogen und mit Lehm versiegelt war. Als Carter auch hier das unversehrte magische Siegel der königlichen Nekropole sah, konnte er sichergehen, dass alles, was sich jenseits der schweren goldenen Türen befand, seit Tutanchamuns Begräbnis nicht mehr angerührt worden war. Das Arbeiten in der Sargkammer und das Entfernen der Schreine und Sarkophage war aufgrund der beengten Verhältnisse sehr mühselig. Der 2. Schrein war von einem Holzgerüst umgeben, darüber hing ein großes Leintuch, an das unzählige vergoldete Bronze-Rosetten genäht waren. Erst der 4. Schrein gab den Blick auf den Quarzit-Sarkophag frei. Auf dem Foto späht Carter zusammen mit einem Gehilfen und seinem Mitarbeiter Arthur R. Callender durch die geöffneten Türen der Schreine. |
Abb.: Wikimedia Commons, Public Domain
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Abb.: Wikimedia Commons, Public Domain
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Der frei stehende Quarzit-Sarkophag barg den ersten vergoldeten Sarkophag mit dem prächtigen Antlitz des Königs.
"So frisch und unberührt von der Zeit war dies alles, dass wir mit hineingezogen wurden in das Leid dieses Todes." (Howard Carter) Die schweren Deckel der Sarkophage wurden mithilfe eines Flaschenzuges mit starken Seilen angehoben. Der äußere Sarkophag gab den Blick auf den mittleren frei, den Girlanden aus Olivenzweigen, Lotosblüten und Kornblumen schmückten. Als man auch diesen Deckel entfernt hatte, kam der innerste Sarg zum Vorschein, dieser bestand aus purem Gold. Auf Brust und Hals lag ein kunstvoll gearbeiteter Kranz aus Perlen und vertrockneten Blumen. Der Moment der Freilegung wurde im Foto links festgehalten. Während der altägyptischen Begräbniszeremonie hatte man große Mengen pechhaltiges Harz vergossen, das mit der Zeit zu einer steinharten Masse wurde. Erst nach der Entfernung dieser Substanz konnte man die beiden Särge voneinander trennen. Das rechte Foto zeigt Carter bei seiner geduldigen Arbeit. |
Abb.: Wikimedia Commons, Public Domain
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Als schließlich auch der schwere Deckel des letzten Sarkophages sich hob, enthüllte er die in dicke Bandagen gewickelte Mumie Tutanchamuns, die ebenfalls mit getrockneten Balsamierungsharzen und Pech bedeckt war.
Im Kontrast zu dem düsteren Effekt, der durch diese Schicht hervorgerufen wurde, "stand die leuchtend, man könnte sagen strahlend, polierte Goldmaske des Königs, die Kopf und Schultern bedeckte" (Howard Carter). Auf der Brust ruhte eine Goldkette mit "Herz-Skarabäus"-Anhänger aus schwarzem Harz. Darunter waren zwei goldene überkreuzte Hände mit Krummstab und Wedel an die Bandagen genäht, Symbole der Herrschaft über Ober- und Unterägypten, wie bereits auf den Särgen abgebildet. Unterhalb der Hände lag der menschenköpfige Vogel "Ba" mit ausgebreiteten Flügeln, Symbol einer der drei Seelen des Verstorbenen. Die mit Einlegearbeiten versehenen goldenen Mumienbänder enthalten Schutzsprüche der Himmelsgöttin Nut, des Totengottes Anubis, und weiterer Götter, die den König "ehren". Wie Carter feststellte, waren die Texte der Bänder nicht in der richtigen Reihenfolge, und an ihrer Rückseite konnte man deutlich erkennen, dass die Namenskartuschen herausgeschnitten und durch Goldplättchen ersetzt worden waren. Eine dieser Kartuschen hatte man jedoch übersehen, sie trug den Namen "Anchcheperure" - der Thronname des mysteriösen Semenchkare, Tutanchamuns Vorgänger. Dieser Fund ist bei weitem nicht der einzige aus dem Grab, der Fragen aufwirft. Während er die Mumie Tutanchamuns Schicht für Schicht von seinen Bandagen befreite, fand Carter insgesamt mehr als 150 heilige Schmuckstücke und andere Gegenstände, von denen die meisten den König im Jenseits beschützen sollten. Die Arme trugen etliche Armreife und waren als Zeichen königlicher Herrschaft angewinkelt und überkreuzt; in den Händen hielt der Pharao die zuvor so oft abgebildeten königlichen Insignien Krummstab und Wedel, die jedoch fast völlig verrottet waren. Goldene Hülsen mit Gravuren in Form von Finger- und Fußnägeln steckten zum Schutz an jedem einzelnen Finger und jeder Zehe, an den Füßen außerdem noch goldene Sandalen. Auf dem kahlrasierten Kopf des Königs saßen in der untersten Schicht ein goldenes Diadem mit Uräusschlangen und eine dünne Schädelhaube mit vier über den Schädel ringelnden Uräusschlangen aus Gold- und Fayenceperlen. Das "Nemes"-Kopftuch, ebenfalls Teil des Königsornats, war längst zerfallen. |
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In der nordöstlichen Ecke der Sargkammer, unterhalb der Darstellung der Begräbnisprozession, lag ein niedriger Eingang zu einer weiteren Kammer. Dieser Eingang war nicht zugemauert worden - doch er wurde gut bewacht:
Eine überlebensgroße Statue des Schakalgottes Anubis spähte einschüchternd aus der Dunkelheit hervor, den vergoldeten Kanopenschrein beschützend, in dem die mumifizierten Eingeweide Tutanchamuns aufbewahrt waren. Die inneren Organe wurden dem Leichnam entnommen, um den Verwesungsprozess zu unterbinden. Obwohl sich auch in dieser Kammer deutliche Spuren der antiken Grabräuber zeigten, die Kisten durchwühlt und scheinbar auch diverse Gegenstände gestohlen hatten, fand Howard Carter hier einige der wertvollsten Stücke der Grabausstattung, weshalb er die Bezeichnung "Schatzkammer" verwendete. Dutzende Modellboote, Ushebti-Figuren, einzigartige Schmuckstücke, Götterstatuen und Statuen mit Darstellungen des Königs, sowie unzählige andere Dinge aus längst vergangener Zeit stapelten sich entlang der Wände. Zu den berührendsten Funden dieser Kammer zählen aber zweifellos die zwei kleinen vergoldeten Särge, die in einer schlichten Holztruhe am Ende des Raumes lagen. Darin ruhten zwei mumifizierte Frühgeburten, vermutlich Tutanchamuns Töchter. |
Abb.: Hartmut Hertrampf, Tutanchamun-Ausstellung Hamburg
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